So viele Stunden arbeite ich als freie Texterin pro Tag.

05. Oktober 2021

“Im Durchschnitt arbeite ich fünf Stunden pro Tag.“ Stille. Im Kopf zähle ich langsam die Sekunden runter: “3, 2, 1 – Bingo!“ Die Augen meines Gegenübers weiten sich vor Unglauben, gefolgt von einem langsamen, automatischen Kopfnicken. Eine Bestätigung dafür, dass meine Worte angekommen sind. Und für einen kurzen Augenblick schwebt ein stummes BITTE WAS?! über unseren Köpfen. Wie eine Blase, die jeden Moment zu platzen droht.

Was wäre ein Leben ohne Stempel?

Die Rädchen im Kopf beginnen sich zu drehen und plötzlich läuft das kleine Einmaleins wie am Schnürchen. “5 mal 5 sind 25. Das bedeutet: 25 Stunden pro Woche arbeiten. Alter, was für ein geiles Leben!“ Ist diese Erkenntnis einmal durchgesickert, folgt die alles entscheidende Frage: „Ja, und wie viel verdienst du?“ Schließlich lautet das Gesetz der Gerechtigkeit: Wer weniger arbeitet, verdient auch weniger! Ehrlich gesagt, spielt es keine Rolle, was ich darauf antworte. Allein die Aussage “ich arbeite fünf Stunden am Tag“ reicht aus, um den Stempel eines chilligen Lebens aufgedrückt zu bekommen.

Gerade in kreativen Jobs ist das ein wichtiges Thema. Was sich viele Leute nicht bewusst sind: Kreative Prozesse brauchen Zeit. Die Wenigsten arbeiten in diesem Bereich acht Stunden am Stück produktiv. Eine Tatsache, die selbst zahlreiche Studien belegen. Und seien wir einmal ehrlich: Im Allgemeinen wird bei der Arbeit viel Zeit für andere Dinge verschwendet. Angefangen von den obligatorischen Kaffee- und Raucherpausen über die Mittagspause und dem darauffolgenden Mittagstief bis hin zum resignierten Starren auf den Bildschirm. Ganz zu schweigen von der Arbeit im Home-Office, wo plötzlich die Liebe zum Putzen neu entdeckt wird.

Fünf Stunden sind rum, schwuppdiwupp und Laptop zu. Auch wenn sich die meisten Leute genau das darunter vorstellen, entspricht dies nicht der Realität. Wenn ich von fünf Stunden spreche, dann ist das die Zeit, in der ich effektiv arbeite und die ich am Ende des Tages an den Kunden verkaufe. Weitere Themen wie Buchhaltung, Akquise und Marketing erledige ich quasi in meiner Freizeit und stellen einen zusätzlichen Arbeitsaufwand dar. Und ja, manchmal starre ich einfach Löcher in die Luft, da meine kreative Gehirnhälfte nicht in Schwung kommt oder sich bereits im Feierabendmodus befindet. Aber was wäre schon ein Leben ohne Stempel? Für manche Leute ziemlich langweilig.

Schreien tut gut, bringt aber nichts.

Je kreativer und komplexer ein Job ist, desto schwieriger wird es, von einem klassischen 8-Stunden-Tag zu sprechen. Ich hatte einmal eine Kundin, die ziemlich gute Mathekenntnisse beherrschte. Es handelte sich um ein großes Projekt und wie immer: Die Zeit drängte. Nachdem ich ihr erklärt hatte, wie lange ich für einen Text benötigte, begannen auch bei ihr im Kopf die Rädchen zu drehen: “Ein Arbeitstag hat acht Stunden. Wenn du für einen Text ca. 2-3 Stunden brauchst, dürften vier Texte pro Tag (also so rein rechnerisch) kein Problem sein, oder?“  Schon an ihrem Tonfall erkannte ich, dass es sich hierbei nicht wirklich um eine Frage, sondern vielmehr um eine Aussage handelte. Augenblicklich spürte ich, wie mein Blut langsam in Wallung geriet. Mein Puls beschleunigte sich, meine Hände ballten sich zu Fäusten und am liebsten hätte ich einmal laut geschrien! Stattdessen versuchte ich möglichst ruhig zu bleiben und höflich meinen Standpunkt zu vertreten. Letzten Endes wurde die Angelegenheit kommentarlos beiseitegelegt.

Was ich daraus gelernt habe? Es ist reine Zeitverschwendung, den Leuten klarzumachen, was kreatives Arbeiten bedeutet. Oftmals entstehen nur unnötige Diskussionen, die zu keinem Ergebnis führen. Die einen verstehen es, die anderen eben nicht. Das Wichtigste ist: Ich muss mich weder für meine Arbeitszeit noch für meine Preise rechtfertigen. Bei niemanden. Punkt.