Was ist dran am digitalen Nomadentum?

10. Januar 2023

„Die ruhigen Tage sind vorbei, das neue Jahr hat begonnen. Im Dezember neigen sich die Projekte dem Ende zu und es folgt der Januar, in der Regel ein ruhiger Monat. So war es die letzten Jahre. Und so wird es wahrscheinlich auch in Zukunft sein. Ideal also, um persönliche Pläne in die Tat umzusetzen. Diese lauteten: Koffer packen und das Land verlassen. Schon lange stand Mittel- und Südamerika auf unserer Liste. Warum nicht die Zeit nutzen?! Ende September hieß es Adieu Deutschland, willkommen Martinique. Drei Monate ist das nun her und ich sitze hier: in Oaxaca, Mexiko. In einem wunderschönen Café, das zum Verweilen einlädt.  

Manchmal braucht es einen zweiten Anlauf – und eine Spätzlepresse

Beim Betreten des Cafés fallen als Erstes die antiken Torbögen mit ihren großen, schlanken Säulen ins Auge. Einmal hindurchgelaufen, befinden wir uns inmitten eines wunderschönen, kolonialen Innenhofs. Grüne Pflanzen schlängeln sich an den Säulen empor, von der unteren Etage bis nach oben auf die Dachterrasse. Durch die Torbögen strahlt die Sonne herein und sorgt für eine warme, friedliche Atmosphäre. Perfekt um den Laptop aufzuklappen und endlich das zu tun, was ich schon lange tun wollte: Schreiben. Als wir unsere Koffer packten, taten wir das mit dem Ziel, von unserer Freiheit als Selbständige Gebrauch zu machen. Fremde Länder bereisen und von unterwegs aus zu arbeiten. Ein Vorhaben, das wir schon im Februar 2020 starteten und…aufgaben. Damals mitten in Kolumbien, kurz nach unserer Ankunft. Corona war auch in Südamerika angekommen und in letzter Sekunde ergatterten wir noch einen Flug zurück nach Deutschland. Umso mehr freuten wir uns nun, unsere Reise endlich fortführen zu können. Wir vermieteten unsere Wohnung für fünf Monate, packten unsere Backpacks und losgings. Mit dabei unsere Spätzlepresse – sollte sie doch für so manche kulinarischen Abende sorgen. Einmal im Flieger, erreichten wir acht Stunden später unser erstes Ziel: Martinique. Eine französische Insel inmitten der Karibik. 

Digitales Arbeiten vs. digitale Nomaden

Sechs Wochen verbrachten wir auf der Insel, dann wurde es uns zu eng. Ließen wir uns in der ersten Woche noch die Sonne auf den Bauch scheinen und den Laptop geschlossen, mussten wir ab der zweiten einen neuen Arbeitsrhythmus finden. Gar nicht so einfach, wenn das Meer ruft und die Insel erkundet werden will. Gutes Zeitmanagement ist gefragt. Meiner Meinung nach einer der größten Herausforderungen auf Reisen – vor allem, wenn man wie wir, nur für kurze Zeit an einem Ort verweilt. Genau hier liegt der kleine, aber feine Unterschied zwischen remote arbeiten und als digitaler Nomade unterwegs zu sein.

In gewisser Hinsicht lässt sich das eine vom anderem nicht trennen. Ein digitaler Nomade wählt seinen Arbeitsplatz irgendwo auf der Welt – eben dort, wo es ihm am besten gefällt. In der Regel verweilt er für mehrere Monate an einem Ort, ohne über einen festen Wohnsitz zu verfügen. Dabei bevorzugen viele digitale Nomaden ein kostengünstiges Land, um sich den Lebensunterhalt leisten und gleichzeitig die Vorzüge von Sonne, Meer und einer fremden Kultur genießen zu können. Es gleicht einer Auswanderung auf Zeit. Immer mit Fokus auf gutes Internet, attraktive Co-Working Spaces und Gleichgesinnte zu treffen.

Herumreisen und parallel arbeiten, ist eine etwas andere Schiene. Der ständige Ortswechsel hält stets neue Bedingungen bereit: Gegebenenfalls schlechtes Internet, ein hellhöriges Apartment, wechselnde Zeitzonen und der Drang die neue Umgebung zu erkunden. Flüge und Busfahrten zur nächsten Destination müssen vorausschauend geplant werden und feste Arbeitszeiten existieren nicht mehr. Ein Leben ohne Routine. Stattdessen prägen laufende Veränderungen den Alltag sowohl bei der Organisation als auch auf dem Kontostand. Eine neue Art des Reisens auf Zeit. Es ist kein Urlaub, sondern etwas, das man wirklich wollen muss.

Andere Länder, andere Netze

Als Teil Frankreichs und damit auch Europas, gab es für uns auf Martinique nur wenige Einschränkungen. Das Internet funktionierte in der Regel gut und die Zeitverschiebung von rund sechs Stunden stellte keine größeren Probleme dar. Auch die Ortswechsel ließen sich auf einer kleinen Insel mit geringen Distanzen gut in den Arbeitsalltag integrieren. Allerdings war das Angebot an gemütlichen Cafés und Co-Working Spaces dürftig und andere Reisende trafen wir nur selten. Wenn doch, waren es vor allem Touristen, die ihren Urlaub auf der Insel verbrachten. Anders verhielt es sich in Reise-Hochburgen wie Mexiko und Kolumbien. In Mexiko reisten wir vom Bundesstaat Yucatán über Mexiko City nach Puerto Escondido in die Stadt Oaxaca. Ob Land, Leute, Essen und Kultur – Mexiko war unser absolutes Highlight. Einziges Manko: gutes Internet. Das überraschte uns sehr, vor allem, da Mexiko ein Mekka für digitale Nomaden ist. In Kolumbien wiederum, lief das Internet wie am Schnürchen. Selbst die Busse verfügten in der Regel über anständiges WLAN, während wir durch Berg und Tal tuckerten. Tatsächlich merkten wir schnell, dass jedes Land seine Vor- und Nachteile hat. Wichtig ist es, sich darauf einzulassen und das Beste daraus zu machen. Das gehört zum Reisen und Arbeiten auf Zeit unweigerlich dazu.

Remote arbeiten: Luftmatratze, Office oder Couch

Bevor wir aufbrachen, setzten wir uns das Ziel, möglichst viele, verschiedene Arbeitsorte auf Reisen auszuprobieren. Und das taten wir: von Airbnb über Co-Working Spaces bis hin zu Co-Living und Couchsurfing. Schnell stellten wir fest, dass wir am effektivsten arbeiteten, wenn wir unsere eigenen vier Wände hatten. Dafür eignete sich insbesondere eine Unterkunft über Airbnb oder Couchsurfing. Letzteres hatte uns auf ganzer Linie überzeugt. Kostenlos bei fremden Leuten auf der Couch zu übernachten, war zu Beginn seltsam und aufregend zugleich. Seltsam deshalb, weil wir diese Form der Großzügigkeit in Ländern wie Deutschland nicht gewohnt sind. Schlussendlich machten wir dort die schönsten Bekanntschaften mit Menschen, die an unserem Leben und unserer Kultur ehrlich interessiert waren. Zudem entpuppte sich unsere Spätzlepresse als wahrer „Kuppler“ und führte so manche Kulturen an den gemeinsamen Tisch.

Ebenfalls gute Erfahrungen machten wir sowohl in Co-Working Spaces (flexibel buchbare Office-Räume) als auch im Co-Living (gemeinschaftliches Wohnen und Arbeiten). Allerdings spielten die Räumlichkeiten und die Menschen vor Ort eine wichtige Rolle, was den Wohlfühlfaktor betraf. So erlebten wir im Co-Living in Medellin schöne Tage mit Gleichgesinnten und gemeinsamen Aktivitäten, wobei der Fokus vor allem auf dem sozialen Austausch lag. Wenn es jedoch ums Arbeiten ging, verzog sich jeder auf sein Zimmer oder suchte eine ruhige Ecke im Haus. Auch die Sauberkeit der Unterkünfte ließ in einigen Fällen zu wünschen übrig, da sich niemand verantwortlich fühlte. Ähnliche Erfahrungen machten wir in Co-Working Spaces. Das Gefühl von einem Büroalltag kam hier am stärksten auf, was unter anderem an den festen Arbeitsplätzen und am Austausch mit anderen Selbständigen lag. Und doch war alles anonymer. Die Gesichter der „Kollegen“ wechselten nahezu täglich und die Gespräche gingen selten über Smalltalk hinaus.

Unser Weg: die Heimat und die Ferne

Auf Reisen zu gehen, ist eine gute Idee. Schließlich ist es das Beste, um seinen Horizont zu erweitern. Doch bedeutet es nicht, den Alltag hinter sich zu lassen. Das Leben dreht sich weiter. Zu Hause, bei Menschen, die uns wichtig sind und unser Eigenes auch. Die Zeit unterwegs ist eine wichtige Erfahrung für uns. Auch in Zukunft werden wir arbeiten und reisen gerne miteinander verbinden. Allerdings bevorzugen wie jene Monate, die arbeitstechnisch gesehen ruhiger sind (Dezember/Januar). Auf diese Weise lässt sich das Reisen entspannter angehen und alles unter einen Hut bringen. Die andere Variante ist die, für längere Zeit an einem Ort zu bleiben. Dadurch gibt es die Möglichkeit, eine Routine zu entwickeln und gleichzeitig die Vorzüge eines fremden Landes zu genießen. Nichtsdestotrotz der Mensch ist und bleibt ein Gewohnheitstier. Selbst die schönsten Reisen verlieren irgendwann ihren Glanz, wenn sie zum Alltag werden. Der Wunsch nach einem festen Freundeskreis und die Familie um sich zu haben, kommt auch in der Fremde auf. Daher haben wir uns gegen das klassische digitale Nomadentum entschieden und unsere Wohnung in Deutschland behalten. Akku aufladen sowohl in der Heimat als auch in der Ferne – diese Freiheit bietet uns die Selbständigkeit und ist zu unserem Weg geworden.